Türchen 21: Fünf Krapfen für sieben Euro - Eine Geschichte darüber das gemeinsame Zeit mehr wert ist als alles Geld der Welt

Meine Hände sind kalt, ich kann sie kaum noch spüren. Traurig ziehe ich die Socken von meinen rauen, alten, zittrigen Händen, in die ich Löcher geschnitten habe. Handschuhe habe ich nicht, aber die Socken tun es auch, nur sind sie so nass, dass sie nicht mehr wärmen. Vorsichtig schlängele ich mich durch die Menschenmassen, die sich im warmen Licht der unzähligen Buden auf dem örtlichen Weihnachtsmarkt tummeln. Kurz bleibe ich unter dem großen Lichter geschmückten Weihnachtsbaum stehen, Blicke nach oben, mein steifer Nacken schmerzt etwas, doch der Anblick ist es wert. Sanft steigt mir der Duft von frisch gebackenen Krapfen in die Nase, ich lächle und schiebe meine ‚Handschuhe‘ in eine meiner Taschen in der ich Geld klimpern höre: „Ein Zeichen des Himmels“, denke ich und kämpfe
mich die letzten Meter zur Schlange vor der Krapfenbude durch. Die Schlange ist lang, voller schlecht gelaunter Menschen, die sich darüber beschweren, dass es nicht vorangeht und dass sie frieren. Das macht mir nichts aus, ich bin an klirrende Kälte gewöhnt. In der Schlange stehend, öffne ich meine Hand, die ich in meiner Tasche schon fast unbewusst zu einer Faust geformt habe, als ob ich die paar Cent zerdrücken wollte. Ich breite die Münzen auf meiner Handfläche aus, Zähle: ganze zwei Euro! Vielleicht reicht das ja für ein paar Krapfen. Ich freue mich. Von hinten schieben mich ungeduldige Mitbürger vor das Ausgabefenster „Hallo, was gibt es für sie?“, fragt mich eine gelangweilte Mitarbeiterin. „Ähm, für mich bitte…“ Mein Blick fällt auf die Preisliste: Fünf Krapfen – Sieben Euro. Wie festgefroren starre ich auf das Schild und werde von einem unfreundlichen: „Warum geht es denn schon wieder nicht weiter?“ aus meiner Starre gerissen, bevor ich etwas erwidern kann werde ich unsanft vom Fenster geschoben: „Ich nehm‘ 10 Krapfen.“, höre ich noch jemanden sagen dann rutsche ich auf einer kleinen vereisten Pfütze aus und falle auf den Rücken, bleibe liegen: „Fünf Krapfen – Sieben Euro“, wiederhole ich in Gedanken. „Hey! So helfen sie doch dem Mann!“ höre ich eine junge Frau aus der Schlange rufen. Niemand hilft. Warum auch? Sie wissen, wer oder was ich bin, zerrissene, schmutzige Kleidung, kaum Geld, um sich auch nur einen knusprigen, goldbraun gebratenen Krapfen zu kaufen. Wenn sie im Winter draußen frieren, hüllen sie sich in warme Kleidung und können einfach nach Hause gehen. Ich bleibe hier. Auf der Straße, suche mir einen Platz zum Schlafen. Dass sie es wissen, sehe ich in ihren Blicken, höre es, wenn sie über mich reden.


„Kann ich Ihnen helfen?“, fragt die junge Frau. Es ist das Beste, es zu ignorieren: den Blick senken, nicht hinhören. Sie sind die, die in Überfluss leben und es keine Sekunde lang genießen, wenn es endlich schneit. Erst als sie mir ihre warme Hand auf die Schulter legt, holt sie mich aus meinen Gedanken zurück. Sie sieht zu mir hinunter: lange blonde Haare, grüner Schal und von der Kälte rot gefärbte Wangen. Noch etwas verwirrt greife ich nach der anderen Hand, die sie mir hilfsbereit hinhält. Etwas mürrisch sage ich: „Jetzt haben sie wegen mir den Platz in der Reihe verloren…“, „Ach das macht doch nichts“, erwidert sie und lächelt. Verdutzt schüttle ich den Kopf, brumme ein „Dankeschön" und mache mich auf den Weg zu meiner Lieblings Bank an der Kirche. Es fängt an zu schneien, dicke, weiße Flocken fallen vom Himmel herab und bedecken den Boden und die Bäume mit einer feinen, glitzernden Decke. 



Plötzlich wirkt alles so still, so ruhig und friedlich. Seufzend lasse ich mich auf die Bank fallen, schließe die Augen, öffne sie wieder, weil sich knirschend Schritte nähern: lange blonde Haare, grüner Schal und von der kälte rot gefärbte Wangen, sie lächelt, reicht mir eine Tüte: „hier greifen Sie zu, solange sie noch warm sind“. Verwundert greife ich nach der Tüte, sie ist ganz warm und wieder steigt mir der Duft von frischen Krapfen in die Nase und ich lächle. Sie setzt sich neben mich und schweigt. So sitzen wir eine ganze Weile, essen und schweigen, gemeinsam, einsam. „Danke“, sage ich und halte ihr die Tüte mit dem letzten Krapfen hin, mein Atem hängt in einer weißen Wolke über unseren Köpfen. Sie lacht herzlich: „Nein, nein. Nehmen Sie schon!“. Ich nicke: „Warum verschwendest du deine Zeit mit mir?“, frage ich, sie sieht mich verständnislos an: „Aber ich verschwende sie doch nicht“, sie schüttelt den Kopf. „Ich verbringe sie mit Ihnen, für mich ist das keine Verschwendung.“ „Nein?“ „Nein.“ „Aber warum ist ein so wunderbares Kind wie du so allein?“ „Aber ich bin doch nicht allein.“, erwidert sie und lacht hell und zart. „Nein?“ „Nein. Gott ist hier.“ „Gott? Wo?“ „Ach alter Mann, sie stellen so viele Fragen. Sehen Sie sich um und stellen Sie sich vor, er ist in allem, was Sie umgibt, in jeder Schneeflocke, in jedem dürren Ast. Er gibt Antworten auf so viele Fragen und wenn Sie ihm ihr Herz öffnen, ist er auch dort und Ihnen wird nie wieder kalt sein. Wissen Sie denn nicht, warum wir Weihnachten feiern?“ Sie springt auf, wirft die Arme in die Luft und dreht sich ein paarmal um sich selbst, wie eine Tänzerin: „Spüren Sie das?“, fragt sie nach einer Weile, nimmt mich an den Händen, gemeinsam drehen wir uns und ich spüre, wie mir langsam ganz warm wird ums Herz. Ich alter Mann hab schon so viel gesehen, so viel Leid, dachte ich müsste mich verschließen, um zu überleben in dieser kalten Welt, dabei hätte ich mich öffnen sollen, um Wärme zu empfangen und diese wieder in die Welt geben zu können. Ich lächle wieder: „Ja. Ja, ich spüre es“, sage ich und freue mich über das Strahlen in ihren Augen.


che


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